menu html by Css3Menu.com

   





INTERESSANT, VIELFÄLTIG, INSPIRIEREND -
LEBEN IN PRAG MIT DEN AUGEN EINES ENGLÄNDERS
written by Phil Shoenfelt for Prager Zeitung (CZ), 15.03.2001
Im Sommer des Jahres 1994 spielte ich zusammen mit der tschechischen Band Tichá Dohoda ein paar Konzerte in der Tschechischen Republik. Ich hatte so viel Spaß auf dieser Tournee, dass ich danach gar nicht mehr nach London zurückkehren wollte. In England war es zu diesem Zeitpunkt immer schwieriger geworden live aufzutreten, vor allem weil das Musikgeschäft dort immer mode- orientierter wurde und auf viele Bands enormen Druck ausübt. Der verwehrt jeglicher Form von Musik sowie ihren Protagonisten, sich natürlich zu entfalten.In meiner Heimat langweilte mich auch eine eher provinzielle Haltung, die sich inmitten dessen, was als ein globales Kulturzentrum betrachtet wird, hartnäckig hält. Leben in London war auch nicht gerade ein Vergnügen: Hohe Lebenshaltungskosten, überteuerte und permanent überfüllte öffentliche Verkehrsmittel, die Unüberschaubarkeit dieses Molochs und der Mangel an Gemeinschaft. Ganz abgesehen vom Wetter und einer allgemein unterdrückten Sexualität, die sich so oft in Wut und alkoholgeschwängerten Gewaltausbrüchen manifestiert. Oder die Vermischung von Kunst, Business, Werbung und Unterhaltung. Oder das allgegenwärtige britische Klassensystem. All das führte mich zu dem Schluss, dass London nicht mehr meine Stadt sei. Als sich mir im August 1995 die Chance bot nach Prag überzusiedeln, nahm ich das nächstbeste Flugzeug.

Gutwilliges Chaos

Klar, die Tschechische Republik hat ihre eigenen Probleme - Korruption und Misswirtschaft, ein byzantinisches Ausländergesetz und eine nicht besonders freundliche Haltung gegenüber allem Fremdartigen. Ich will auch gar nicht den Eindruck erwecken, das Land sei eine mitteleuropäische Version des Garten Eden. Dennoch: Verglichen mit England herrscht hier ein viel entspannterer Lebensstil und die Gesellschaft ist frei von dieser hochnäsigen Arroganz, die Ex-Kolonialherrscher wie England oder Frankreich charakterisieren. Leben hier hat ein eindeutig niedrigeres Stress-Niveau und gibt mir die Möglichkeit als Musiker und Schriftsteller so zu existieren, wie es in London niemals möglich gewesen wäre.

Was mir überhaupt an Prag und Tschechien gefällt, ist das Gemeinschaftsgefühl. In einem so kleinen Land kennen sich die Musiker untereinander und so werden sämtliche Vereinbarungen über Konzerte, Plattenverträge oder auch Veröffentlichungen über ein paar Bier in der Kneipe geschlossen. Das kann zwar ab und zu im Chaos enden, aber das ist dann ein gutwilliges Chaos, unpersönlichen Geschäftsbeziehungen und aggressiven Marketingstrategien jederzeit vorzuziehen. Ich liebe es geradezu, an irgendeinem Kneipentisch einen bärtigen, schweinsbäuchigen Alkoholiker mit Halbglatze zu treffen - so einer, der daheim allein wegen seines Anblicks sofort als Assozialer abgeschrieben werden würde - nur um dann herauszufinden, dass es sich um einen respektierten Schriftsteller, Dichter oder Philosophen handelt. Und wenn es auch stimmt, dass die Tschechen (vor allem die männliche Gattung) wenn es zu Kleidern und Haarschnitten kommt, einen gewissen Stil vermissen lässt - was die Menschen in ihren Herzen und Köpfen haben interessiert mich mehr als die Weite ihres Hosenschlags oder die Designer-Label auf ihren Sporthemden.

Spastische Hühner

Auch die tschechische Musikszene ist viel interessanter als die auf der Insel, die mir steril und unspontan vorkommt. O.K., man muss schon ein spastisches Huhn sein, um zu den meisten tschechischen Bands tanzen zu können, aber wenigstens macht es Spass zu versuchen, abrupte Rhythmusänderungen und unverständliche Texte zu kapieren. Tschechischer Rock ist mit dem Land und seiner Geschichte verwurzelt.
Er lässt sich zwar schlecht exportieren, aber inzwischen haben Bands wie The Plastic People of the Universe, Uz jsme doma oder Psí vojáci schon im europäischen Ausland und Amerika gespielt. Hier existiert eine gewisse Offenheit gegenüber Musik und Literatur anderer Kulturen. Klubs wie Palác Akropolis oder Roxy haben regelmäßig eine weite Auswahl an Musikrichtungen - von Alternativ über Folk und World Music bis hin zu Techno - auf ihrem Programm. Obwohl Prag viel kleiner ist als London, es liegt mitten im Herzen Europas und wirkt deshalb inspirierender und interessanter als die anglozentrische Atmosphäre in England und den USA. Dort wird zwar am lautesten geschrien, aber auch nur weil die Medien dort als die besten Verstärker dienen. Doch das ist meine persönliche Meinung, die wahrscheinlich nicht von vielen geteilt wird. Mir gefällt einfach die Tatssache, dass ich in verschiedenen Genres, wie Musik und Literatur tätig sein kann, ohne gleich in die eine oder andere Schublade gesteckt zu werden. Das wäre nämlich der Fall in England, wo man entweder der Sparte ernsthaft oder unterhaltsam zugeteilt wird. Ich bewundere auch den Mangel an kommerziellen Druck, der mir erlaubt hat, meine Musik natürlich sich entwickeln zu lassen. Ich mag die tschechische Zurückgelehntheit, den schwarzen Humor und die Tatsache, dass der Underground bis jetzt noch in der einen oder anderen Form überlebt hat. Von hier wegzugehen kann ich mir nur schwer vorstellen.

Phil Shoenfelt lebt als Musiker und Schriftsteller im Prager Stadtteil Zizkov.