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PHIL SHOENFELT Interview with Ni Gudix for HAERTER (DE) and SATT.ORG (DE), 06/2006 |
Ní Gudix sprach mit dem Musiker und Schriftsteller Phil Shoenfelt über Australien, die Sechzigerjahre, Prag, Drogen, Punk, den Roman JUNKIE LOVE und Frank BrökerHallo Phil. Wie kommt ein aus Bradford stammender Ex-Punk-Musiker, der sowohl in New York als auch in London gelebt hat, jetzt ausgerechnet nach Prag? Was war es, das dich ins "Alte Europa" zog? Wie gefällt´s dir hier? Kannst du tschechisch? Nun, im Sommer 1994 war ich auf Tour in Tschechien, eine tschechische Band mit Namen Tichá Dohoda hatte mich begleitet. Davor war ich in Prag gewesen, hatte dort eine Freundin besucht und eine meiner CDs bei Radio 1, dem hiesigen Independentsender, untergebracht. Meine Songs wurden ziemlich oft gespielt, weshalb mir dann die erwähnte Tour angeboten wurde. Am letzten Tag dieser Tour traf ich die Frau, mit der ich jetzt verheiratet bin, die Künstlerin und Kostümdesignerin Jolana Izbická. Zu dem Zeitpunkt ging mir London mächtig auf die Senkel, und nachdem ich und Jolana uns gegenseitig ein paarmal besucht und dabei herausgefunden hatten, daß wir gut zusammen tickten, beschloß ich, ganz nach Prag zu ziehen. Im August 1995 war´s dann soweit. Das Leben hier ist wirklich wesentlich entspannter als das in London. Ich liebe das Flair hier, ich liebe die Tschechen, und ich hab hier auch viel mehr Zeit zum Komponieren, Dichten und Amüsieren. In London hat man entweder einen guten Job, viel Geld und nie eine freie Minute, oder aber man ist arbeitslos, hat viel Zeit, aber keinen Pfennig, weil die Lebenshaltungskosten so hoch sind. Ein Nachteil ist natürlich, daß es in Prag schwieriger ist, bestimmte Bücher oder CDs zu finden – aber mit Internet ist auch das kein Problem mehr. Inzwischen kann ich auch ein wenig Tschechisch, aber nicht besonders gut – es ist wirklich eine schwierige Sprache, mit sieben Deklinationsfällen und vier (?!) Geschlechtern, und abgesehen davon bin ich auch ziemlich schwer von Kapée, was das Lernen einer neuen Sprache betrifft, das fiel mir noch nie leicht. Du bist 1952 in England geboren und in den Siebzigern "mit der Punkszene kollidiert". Was geschah zwischen diesen beiden Zeitpunkten? Was hast du gemacht, nachdem du mit der Schule fertig warst? Und wie sah diese "Kollision" genau aus – bist du auf der Straße mit Sid Vicious zusammengestoßen und hast dich anschließend mit den Sex Pistols besoffen, oder wie? Haha! Aufgewachsen bin ich hauptsächlich in Worcester, einer kleinen Stadt in Mittelengland;
man kennt den Namen von der dort ansässigen Porzellanmanufaktur und der Soße. Als ich
elf war, kam ich in die Worcester Royal Grammar School, wo Latein, Geschichte des
Altertums und klassische Literatur zu den Pflichtfächern gehörten; außerdem wurde dort
Rugby und Kricket gespielt. Es ging da sehr streng zu damals – die Lehrer und Präfekten
züchtigten uns mit dem Stock, Mädchen gab es nicht, wir trugen eine affige Uniform und
mußten ununterbrochen Zeug über die Liebe zum Vaterland und den längst verflossenen
Ruhm des britischen Empires herunterbeten. Außerdem wurden wir, was ich besonders haßte,
in militärische Grundausbildungskurse gesteckt – ich kam mir da vor wie in einer
preußischen Soldatenschmiede im 19. Jahrhundert! Aber gegen Ende der 60er Jahre haben wir
diesen ganzen Drill dann unterwandert, gekifft, Trips eingeschmissen und uns die Haare
wachsen lassen. Und natürlich alternative Literatur gelesen, wie Oz, Independent Times
oder Timothy Leary, Burroughs und Kerouac. Revolution lag in der Luft, und als wir mit
achtzehn mit der Schule fertig waren, hatten wir die Lehrer und den Rektor soweit
gebracht, daß sie reif waren für die Nervenheilklapse. Wer waren deine ersten musikalischen Vorbilder? Haben dich die Beatles und die Rolling Stones und diese anderen britischen Bands der 60er beeinflußt? Na klar! Mit zehn bekam ich meine erste Gitarre, und noch in der Grundschule gründete ich eine Band namens "The Feendz". Meine absoluten Helden waren die Stones, aber die Beatles, die Dave Clark Five, die Searchers oder Gerry and the Pacemakers waren auch klasse. Auch die Exoten wie Bo Diddley und James Brown wurden von mir vergöttert. Der Musiklehrer ließ uns jeden Freitagnachmittag vor der Klasse auftreten, und schnell hatte ich raus, daß man als Gitarrengott von den Mädchen auch dann angehimmelt wird, wenn man nicht gerade dem klassischen Schönheitsideal entspricht. Die Sportskanonen unter den Jungs konnten uns nicht leiden, vor allem, nachdem wir die Stadterlaubnis bekommen hatten, am Samstagmorgen im Dorfkino Matinées zu geben. Die kleinen Mädchen standen unten und kreischten, wie sie das von ihren großen Schwestern abgeguckt hatten, die dasselbe bei den Beatles- und Stones-Konzerten machten. Unser Honorar bestand aus Eis und Schokolade, und es war himmlisch! Wie muß man sich deine Eltern vorstellen – bist du erst durch sie zum Rebellen geworden, oder waren sie eher tolerante und liberale Zuhörer, die verstanden, was du tatest und tun mußtest und dich unterstützten? Meine Eltern waren ziemlich cool, obwohl ich oft in hitzige Streitereien mit meinem Vater geriet. Mutter war eine einfühlsame und poetische Seele, Vater eher ein Exemplar der prosaisch-rauhen, abgearbeiteten, typisch nordenglischen Spezies Mensch. Er war der Meinung, ich solle so bald als möglich von der Schule abgehen und einen anständigen Beruf ergreifen. Er selbst hatte mit 14 bei der Eisenbahn zu malochen begonnen, bevor er eine Ausbildung zum technischen Zeichner gemacht hatte. Meine Mutter war nicht so arbeiterklasseorientiert gewesen, sie hatte mich dazu angehalten, Bücher zu lesen und mir klassische Musik anzuhören, und sie wollte auch, daß ich die Uni besuchte; und am Ende hatten ihre Argumente schwerer gewogen als die von Vater. Mutter starb 1997, und ich vermisse sie immer noch ziemlich. Doch im Rückblick kann ich heute auch die pragmatischen Ansichten meines Vaters verstehen, und ich denke, daß er mir vor allem Charakterstärke und Rückgrat eingeimpft hat – später, als ich mich nach 11 Jahren Heroinabhängigkeit dazu durchrang, den endgültigen Absprung von den Drogen zu machen, sollte dies besonders nützlich sein. Aber während meiner Teenagerzeit hatten wir oft göttliche Kräche, besonders als ich mit 16 kiffte und Mädchen in mein Zimmer schmuggelte. Das Thema Heroin haben wir nun schon angeschnitten. Du hast über deine Zeit als Heroinsüchtiger in London und New York ein Buch geschrieben mit dem Titel JUNKIE LOVE (zu deutsch: FIXERLiEBE), in dem du teils authentisch, teils fiktiv deine eigene Hölle beschreibst. Phil, der Protagonist, kommt aus NY nach London zurück, seine Frau hat ihn verlassen, weil sie es nicht mehr erträgt, mit einem Junkie zusammenzuleben; Phil entzieht, malocht in einer T-Shirt-Fabrik, bis er wieder mit seiner alten Liebe Cissy zusammenprallt. Er zieht mit ihr in ein besetztes Haus und droht erneut im Drogensumpf unterzugehen; schließlich bekommt er es doch noch auf die Reihe, auf die Bremse zu treten, bevor es zu spät ist. Wieviel von dir selbst befindet sich in dieser Geschichte? Gab es Cissy, das besetzte Haus und diese ganzen schrägen Vögel wie Dave den Drückeberger und Bela tatsächlich? Weißt du, was aus "Cissy" geworden ist, was sie heute macht, ob sie es ebenfalls geschafft hat, vom Heroin runterzukommen? Tja, so wie ich die Dinge in JUNKIE LOVE beschrieben habe, waren sie größtenteils
tatsächlich. Cissy hieß mit echtem Namen Claudia, sie war die Frau, mit der ich damals
zwei Jahre lang zusammengelebt habe, und ich denke, daß ich da ein ziemlich
wahrheitsgetreues Bild von ihr gezeichnet habe. Wo sie jetzt ist, weiß ich allerdings
nicht. Nachdem es zwischen uns aus gewesen war (und der Krach war tatsächlich so
verlaufen, wie es im Buch steht), bin ich aus der Kolchose ausgezogen und habe die
nächsten zwei Monate damit zugebracht, meine Dosis Methadon pro Tag schrittweise zu
reduzieren, bis ich auf einem Tropfen täglich angelangt war – einem Tropfen, wirklich
wahr. Dann dachte ich erst "hey, das war aber einfach diesmal!" – doch zwei
Tage später schlugen die Entzugskrämpfe zu. Sie waren zwar nicht ganz so schlimm, als
wenn ich direkt von zwei halben Halben Heroin pro Tag auf nichts runtergegangen wäre,
aber dennoch waren sie schlimm genug. Das Problem ist eben, daß Methadon viel länger im
Körper präsent bleibt und es Wochen dauert, bis man tatsächlich entgiftet ist; die
Schmerzen sind zwar erträglich, wenn man den Stoff schrittweise reduziert hat, aber sie
gehen andererseits eben auch ewiglang nicht vollends weg. Mich plagten sie ungefähr drei
Wochen – das war so ungefähr vergleichbar mit einer üblen Grippe plus Albträume,
Selbsthaß, Schweißausbrüche und die Unfähigkeit, länger als dreißig Sekunden am
Stück bequem zu liegen. Das ging so weier und schien kein Ende zu nehmen, jede Stunde kam
mir wie ein Tag vor und jeder Tag wie ein Jahr. Manchmal schien es mir, daß es gescheiter
gewesen wäre, direkt vom H aus kalten Entzug zu machen – dann hätte ich es in acht
oder zehn Tagen schon hinter mir gehabt. Wie alt warst du, als du zum ersten Mal Heroin genommen hast? Du warst ja nicht einer dieser pubertierenden Drogensüchtigen wie z.B. Christiane F., die in Deutschland 1977 mit ihrem Buch WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO bekannt geworden war und die mit 14 zum ersten Mal H gespritzt hatte. Nein, ich war gottseidank schon 24, als ich zum erstenmal Heroin nahm. Zu dem Zeitpunkt war ich mit meiner Ausbildung bereits fertig. Wenn ich als Teenager angefangen hätte zu fixen, dann hätte ich, so wie ich mich kenne, wohl nicht einmal die High School zu Ende gebracht, geschweige denn das Studium. Die Kinder, die mit harten Drogen anfangen und noch nicht einmal richtig in der Pubertät sind, tun mir leid. Ich war zumindest nicht völlig uferlos, ich kam aus einer intakten Familie und hatte eine Ahnung von dem, wer und was ich war und was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Der Grund für mein allererstes Mal Heroin war dabei lächerlich: ich nahm es als Medizin gegen einen Kater! Ich arbeitete damals bei diesem Sexshop und hatte in der Nacht zuvor heftig gesoffen, also hielt ich mir den Brummschädel, eierte zu einem Freund in einem der benachbarten Sexshops und fragte ihn, ob er nicht zufällig ein Aspirin da habe. Er sagte nein, aber wenn ich ein wenig von dem Zeug schnupfen würde, das er hier habe, dann wäre ich mein Kopfweh in zwei Sekunden los. Und so geschah es! Ich schnupfte nur so viel, wie auf die Spitze eines Streichholzes paßt – es war wirklich guter Stoff -, und obwohl ich die nächsten paar Stunden reihernd überm Klo hing, fühlte ich mich großartig, wie Gott auf seinem Wolkenthron! Ich war voll von jener wunderbaren Selbstsicherheit und Arroganz, die Welt schnurrte zu einem belächelnswerten Nichts zusammen, und die ganzen häßlichen Arschgesichter da unten, die in ihre dummen und profanen Jobs rannten, gingen mir am Heck vorbei. Hemmungsloser Narzißmus, größenwahnsinnige Verachtung für den Rest der Welt und das Auslöschen jeglicher Selbstzweifel – das ist es, was Heroin einem gibt, und deshalb ist es auch eine so beliebte Droge bei Leuten mit Persönlichkeitsknäcksen und Minderwertigkeitskomplexen. Hitler und seine Kollegen waren im II. Weltkrieg zu einem Großteil auf Morphium, und ich bin mir sicher, daß die Arroganz und die Abgeklärtheit, die man durch Opiate erwirbt, der Grund war, warum sie für die Schrecken des Holocaust immun waren. Wenn man auf H ist, ist einem alles andere wurscht, dann wird man zu einem egoistischen Monster und kann auch ohne jedes Mitleid töten, denn das Herz wird zu Stein und die Seele verschwindet. Gottseidank sind die meisten Junkies zu lethargisch dazu, sie haben kein Interesse daran, Massenmord aus ideologischen Gründen zu begehen oder die Welt zu retten – ihr Augenmerk ist nur darauf gerichtet, wie sie das Geld für den nächsten Schuß zusammenkriegen; einen Masterplan haben sie keinen, dem Herrgott sei's gedankt! Was sagst du zu diesem Satz aus Christiane Fs Buch: "Wenn man aufhören will, muß man wissen, wofür. Ich weiß es nicht. Also versuch ich es auch nicht." Jedem das Seine. Ich für meinen Teil stellte fest, daß ich, wenn ich nicht umgehend mit Fixen aufhörte, verrecken würde – wenn nicht schnell durch eine Überdosis, dann eben durch einen schleichenden Tod, durch Armut, Krankheit, Betteln und Obdachlosigkeit. Also beschloß ich, statt dessen das Leben zu wählen. Ich war noch nie der Selbstmordtyp gewesen, und ich habe auch zu viel Stolz, um mich so gehenzulassen, daß ich nur noch Opfer bin. Alle hatten sie mich abgeschrieben und aufgegeben, und ergo dachte ich grimmig: "Na wartet! Ihr steckt mich da so einfach in die Schublade für hoffnungslose Fälle, ihr denkt, der schafft das nie mehr? Jetzt werde ich's euch zeigen! Ich rühre diese Droge nie mehr an! Das hättet ihr nicht erwartet, wa?!" Der Grund, warum ich aufhörte, hatte also auch mit Trotz zu tun. Der Satz aus WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO ist für mich daher Müll. Der ganze Drogenhickhack begann mich anzuöden, da er langsam langweiliger war als selbst der profanste 35-Stunden-Bürojob. Das war für mich genug Anreiz aufzuhören – ich mußte nicht "wissen wofür". Ich hab dich 2004 erstmals getroffen, während ich JUNKIE LOVE ins Deutsche übersetzte. Ich lernte dich also durch das Buch kennen. Ich weiß noch, wie ich den Club suchte, wo du mit Fatal Shore gespielt hast, und mir dich vorzustellen versucht habe – ich erwartete eine Art fanatischen nichtrauchenden nichttrinkenden Keine-Macht-den-Drogen-Prediger. Es war dann unglaublich entspannend festzustellen, daß man mit dir auch ein paar gepflegte Bierchen trinken und ein paar Fluppen rauchen kann. Du beschreibst aber dieses Phänomen in JUNKIE LOVE: daß viele Ex-Junkies nach einem erfolgreich beendeten Entzug extrem besessen von der Idee sind, sich NICHT zu bedröhnen, so wie sie zuvor extrem besessen waren von der Idee, ständig high zu sein. Du nahmst es aber nicht ganz so extrem, oder? Doch, zu Beginn schon; ungefähr ein Jahr lang. Ich trank keinen Alkohol, rauchte nicht, ja nahm nicht mal Aspirin. Ich nahm an Therapiesitzungen teil, schrieb mich für "Drogenfrei in 12 Schritten" ein und diesen ganzen Fez. Dann merkte ich aber, daß sich die Leute bei diesen Sitzungen ihren Kick dadurch zu holen versuchten, indem sie nur über Drogen redeten und darüber, wie sie heute beinahe schwach geworden und sich zugeknallt hätten. Dabei ließen sie ihren Gefühlen freien Lauf, heulten, stöhnten, lachten – es kam mir so vor, als ob das Reden über Drogen bei ihnen nun eine Art Surrogat war für das Spritzen von Drogen, sie schienen hier wie da nur nach dem High zu lechzen. Man nennt das "sich mitteilen", und möglicherweise hilft es ja – aber für mich war es ein Eingeständnis von Schwäche. Es wurde zu einer Einbahnstraße: man starrte nur in seine Vergangenheit und erzählte davon, aber konnte sich nicht von ihr lösen; wie Kriegsveteranen, die sich treffen und über die alten Zeiten reden und darüber, wer noch lebt und wer schon tot ist. Mir brachte es jedenfalls nichts mehr, also ging ich bald nicht mehr zu den Treffen hin und begann auch wieder Alkohol und Nikotin zu konsumieren. Ich war schließlich keine hochsensible Pflanze aus dem Gewächshaus, die man vor dem Leben schützen mußte! Für die Therapeuten bin ich nicht wirklich clean, weil ich Alkohol trinke; aber ich hatte mit Alkohol noch nie Probleme, nur mit Opiaten. Es gibt natürlich Leute, für die gibt es kein Entweder-Oder, die haben sowohl mit Alkohol als auch mit H, Koks, Crack oder was auch immer Suchtprobleme. Wer so tickt, sollte wirklich überhaupt nichts mehr nehmen, wenn er funktionsfähig bleiben will. Nur: ich ticke eben anders. Ich bin jetzt seit 1988 vom Heroin runter, und die paar Bierchen zwischendurch oder die eine oder andere Kippe bringen mich nicht um. Klar, in der ersten Zeit nach dem Entzug haben mir die Sitzungen schon geholfen, und es ist gut, daß es solche Einrichtungen wie Synanon gibt, denn manche Leute brauchen sowas rund um die Uhr und kommen nur so dauerhaft von den Drogen weg. Ich hab aber eben meinen privaten Weg gefunden. Ich hab meine Übersetzung von JUNKIE LOVE diversen Verlagen in Deutschland angeboten und mußte mir Sachen anhören wie "Oh Gott, nein, Heroinromane interessieren heutzutage doch kein Schwein mehr, die Zeit des Heroin ist vorbei, heutzutage nehmen die Kids Ecstasy und Crack – und außerdem gibt’s doch schon genug Heroinliteratur: Christiane F., TRAINSPOTTING und Burroughs. Jeder weiß alles über Heroin, Heroinromane sind doch ohnehin alle gleich, wir brauchen nicht noch einen!" Wie findest du das? Wer sowas sagt, ist ein Idiot. Diese Typen scheinen nur Modetrends und
Vermarktungsstrategien im Kopf zu haben. Ich stell mir da so einen flotten 35jährigen
Yuppie-Verleger vor, der in seinem netten Häuschen am Rande von Stuttgart oder wo lebt,
50 Cent hört und glaubt, er habe dadurch "Street-Credibility". Das ist doch
irre! Es gab in Westeuropa noch nie so viele Heroinkonsumenten wie heute, und seit die
Taliban die Ärsche vollgekriegt haben, ist in Afghanistan wieder Ruhe, und die
Mohnproduktion auf den Feldern läuft auf vollen Touren. Das Problem Heroin verschwindet
nicht dadurch, daß irgendein dümmliches Lifestyle-Magazin behauptet, Ecstasy sei jetzt
die "neue" (?!) Droge, Heroin ist nicht mehr im Scheinwerferlicht, aber es ist
immer noch da, und zwar schlimmer als je. An meinem 29. Geburtstag fragte mich Frank Bröker, ob ich Lust hätte, JUNKIE LOVE ins Deutsche zu übersetzen. Ich kenne Frank von seinem Literaturmagazin HÄRTER her, das er seit 1996 herausgibt; schon bevor er nach Leipzig zog, war er einer der wichtigsten Geistesgrößen des literarischen Undergrounds in Deutschland, und auch als Kollegen und Freund schätze ich ihn sehr. Wie und wann bist du auf Frank gestoßen? Vor ein paar Jahren traf ich ihn zum erstenmal, als ich in Leipzig aus JUNKIE LOVE las. Eine Freundin hatte mir ein paar Seiten des Romans ins Deutsche übertragen, und der Veranstalter der Show bat Frank, die deutsche Übersetzung zu lesen. Ich mochte ihn sofort, wir waren uns schnell sympathisch. Und dann diese wunderbare Stimme, mit der Frank las: tief, klangvoll und ausdrucksstark. Wie er die deutschen Passagen vortrug, das klang so klasse, daß ich wünschte, ich hätte das ganze Buch auf Deutsch geschrieben! Wie entwickelte sich die Zusammenarbeit von dir, Frank und Makarios bei diesem Pratajev-Projekt? Offen gestanden war ich überrascht, als ich 2004 erfuhr, daß du auch bei einem dieser Pratajev-Filme mitspielst, "auf den Spuren von Pratajev in Prag"! Makarios war auch, zusammen mit seiner Frau und ein paar anderen Leuten, bei dieser
Lesung dabei. Auch zu ihm fühlte ich mich ziemlich schnell hingezogen. Ich wußte ein
bißchen was über Die Art – sie waren bei Rough Trade Records unter Vertrag -, und ein
Freund aus Dresden, Mirko Sennewald, hatte mir von dem Mann hinter der Band erzählt.
Später erfuhr ich dann, daß Makarios auch ein begnadeter bildender Künstler ist, seine
Gemälde sind sehr ausdrucksstark und voller erotischem Flair. Der Kerl ist ein vielseitig
begabter Künstler. Er stellte mir dann das Projekt vor, "The Russian Doctors",
an dem er und Frank arbeiten, und gab mir ihre CD. Die Musik klingt völlig anders als Die
Art oder Wissmut, aber was mich darüber hinaus faszinierte, das war dieses durchgeknallte
Konzept um Pratajev, das sie entworfen hatten. Als was siehst du dich eigentlich – als Musiker, Schriftsteller, Dokumentarfilmer – oder zusammenfassend als "Künstler"? Ich sehe mich als modernen Heiligen. Wenn mir die Menschen nur zuhören würden, dann könnte ich die Welt retten. An Zuhörern soll's nicht mangeln. Du kommst ja öfters nach Deutschland, du hast sogar eine in Berlin stationierte Band namens The Fatal Shore, die aus dir, Bruno Adams, Chris Hughes und YoYo Röhm besteht. Was bedeutet eigentlich der Name "Fatal Shore"? "The Fatal Shore", zu deutsch "Die tödliche Küste", war früher der Titel eines Volksliedes, das die Strafgefangenen auf den Deportationsschiffen sangen, mit denen sie im 18. und 19. Jahrhundert von England nach Australien transportiert wurden. Der Titel bezieht sich darauf, daß diese Leute wußten, daß sie, wenn sie an Australiens Küste angelangt waren, nie wieder nach Hause kommen würden, daß sie den Rest ihres Lebens hier in den Strafkolonien verbringen und dann auch hier sterben würden. Später schrieb ein australischer Historiker namens Robert Hughes ein fantastisches Buch mit dem Titel "The Fatal Shore", in dem er auch von der Brutalität erzählte, die die Strafgefangenen dort von ihren Herren erdulden mußten. Das Buch ist wirklich klasse, ich kann es jedem nur empfehlen. Und da Bruno und Chris aus Melbourne kommen – sie sind mit Nick Cave und Mick Harvey befreundet und gehören der Melbourne-Berlin-Szene an, die sich Mitte der 80er hier entwickelt hat -, haben wir uns entschlossen, die Band nach jenem Lied und jenem Buch zu benennen. Ich bin dabei der englische Herr – ich muß diese australischen Aussätzigen unter Kontrolle halten! Du und Bruno Adams scheinen mir schon seit Urzeiten befreundet zu sein – ihr funktioniert auf der Bühne perfekt zusammen. Ich kenne Brunos Schwester Bronwyn noch aus London, sie hat da in einer Band namens Crime and the City Solution, einer von den Bad Seeds und den Einstürzenden Neubauten inspirierten Gruppe, Geige gespielt. 1996 war Bruno mit seiner Band Once Upon A Time in Prag, ich ging auf ihn zu und stellte mich vor, und so kam es zu The Fatal Shore. Wir ticken unheimlich gleich zusammen, ja, und er ist ein furchtbar großherziger, lieber, charismatischer Mensch. Chris Hughes ist ein genialer Drummer, ein richtiger Star, und YoYo Röhm ist sowohl Produzent als auch Baßgitarrist. Er bringt unsere neue CD raus und arbeitet auch mit Ben Becker, Richard Ruin, Martin Dean und Alex und Joachim von den Neubauten zusammen. Nikki Sudden, ein Kollege und guter Freund von dir, ist vor kurzem, am 26. März, gestorben. Da ich Nikki auch kannte, hat mich diese Nachricht wirklich schockiert. Es gab mal eine Zeit, als ihr sehr eng zusammengearbeitet habt, nicht? Deshalb warst du bestimmt auch ganz schön schockiert? Und ob, und auch wirklich traurig. Ich hatte ihn seit den Londoner Punk-Zeiten gekannt, und als er 1996 in Prag gespielt hat, haben wir unsere Freundschaft wieder aufgefrischt. Ich hab auf zwei Europatourneen 1997 und 98 in seiner Band Gitarre gespielt, und am Ende der zweiten Tour nahmen wir im Interpole-Studio in Berlin eine CD mit Songs auf, die wir gemeinsam verfaßt hatten. Leider ist diese CD, "Golden Vanity", nie veröffentlicht worden, da Nikki seinen Gesang noch einmal überarbeiten wollte; ich hab nur ein Tape davon und keine Ahnung, wo die Originalbänder sind, aber wenn ich es mir anhöre, klingt es für mich einfach großartig, rauh, räudig, schmutzig, laut, atmosphärisch dicht und spontan, einfach stark. Vielleicht taucht das Ding eines Tages ja wieder auf, wer weiß? Nikki kam auch aus England und lebte in seinen letzten Jahren in Berlin; du lebst, wie ich oben bereits ausgeführt habe, in Prag und spielst Konzerte in Berlin, Leipzig, Dresden, Griechenland, Ungarn und natürlich Tschechien. Das kommt einem ja schon etwas ungewöhnlich vor – dir ist ja aufgefallen, daß deutsche und auch osteuropäische Musiker oft lieber auf Englisch singen und sich englische Bandnamen geben, und London und New York sind angeblich die Nabel der Welt, was Kunst- und besonders Musikerkarrieren betrifft – und du und Nikki macht freiwillig alles andersrum und zieht demonstrativ aus der englischsprachigen Zone heraus! Ja, du hast recht, das ist komplett pervers! Aber mich interessiert eine "Musikerkarriere" ohnehin nicht. Ich mach das ganze nur aus Spaß an der Freude und nicht, um mir irgendwann eine schicke Villa in Hollywood zu kaufen und dann als hirntoter Schwanzwedler zu enden, der sich für einen Gott hält, nur weil er 6 Millionen Platten im Jahr verkauft! Ich hasse diesen Musikbiz-Hype, diesen Marketing-Fez und den ganzen Teer, der nur dazu da ist, das Ego zu umgurren. Ich weiß, wovon ich spreche – damals in New York wollten einige reiche Plattenmoguln mit meiner alten Band Khmer Rouge einen Vertrag abschließen. Ich sagte nein. Mich interessiert das nicht. Nikki sah das auch so – er wollte sich nicht "vom Apparat" des Musikmanagements und der Kulturkontrolleure "einsaugen" lassen, er blieb immer sein eigener Chef, er organisierte sowohl seine Konzerte selbst als auch die Vermarktung für und den Verkauf seiner CDs, kurz: er führte trotz und wegen all dem ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben. In JUNKIE LOVE schreibst du: "Ich wollte weder zum Schäfchen noch zum Wolf mutieren – und was jetzt? Außer Anpassung und gefühlloser Ausbeutung muß es doch noch was geben, irgendwie muß es sich doch neben oder zwischen den Ritzen vernünftig arbeiten lassen, irgendwo müssen sich doch Leute finden, die ähnliche Ideen haben und wissen, wie man sich kreativ am Rande durchschlägt, ohne daß einen negative Gefühle und Zweifel auffressen." Das herauszufinden ist meines Erachtens sehr wichtig; ich denke, Nikki hat den Weg gefunden. Was meinst du? Würdest du von dir sagen, daß auch du ihn gefunden hast? Doch, ich glaub schon. Ich fühl mich glücklicher als je zuvor, ich schreibe Bücher, mache Musik und bin mit mir in jeder Hinsicht im reinen. Was kann ein Ex-Junkie noch mehr erwarten? Du bist jetzt 54. Was planst du für die Zukunft? Willst du, wie es Keith Richards mal ausdrückte, "so lange auf der Bühne stehen, bis sie mich im Rollstuhl rauskarren müssen"? Moment. Ich bin erst 53. Da ich am 18. Dezember geboren bin, werde ich erst am Ende dieses Jahres 54! Und ja, doch: ich kann's mir schon vorstellen, mit 80 auf einem Rollstuhl auf die Bühne gekarrt zu werden – ich würde mir dann aber noch ein Verdeck an den Rollstuhl montieren lassen. Sieht besser aus und ist auch bequemer! Übrigens ist der 18.12. auch Keith Richards' Geburtstag; Nikki hat mich darauf aufmerksam gemacht. Er war wohl etwas eifersüchtig, daß ich es geschafft hatte, am selben Tag geboren zu werden wie sein größtes Idol! Zum Schluß noch ein paar persönliche Fragen. Was ist dein Lieblingsgetränk (mit oder ohne Alkohol)? Ganz klar: Whisky-Cola mit Jack Daniels. Was machst du in deiner Freizeit – lesen, fernsehen, joggen? Ich hab keine Freizeit. Doch, ganz im Ernst. Ich bin rund um die Uhr am Dichten und Komponieren. Was sind deine Lieblingsschriftsteller? Henry Miller, Louis Ferdinand Céline, William Burroughs, Lautréamont, Georges Bataille, Paul Leppin, Herman Ungar, Alexander Trocchi. Und zu guter Letzt die Gretchenfrage: hast du irgendeinen Bezug zur Religion - Buddhismus, dem Papst, Hare Krishna? Ich kann organisierte Religionen nicht leiden, sie machen doch überall nur Ärger. Den Buddhismus hielte ich wohl noch am ehesten aus, er ist weit toleranter als Christentum, Judentum oder Islam. Früher hab ich mich viel mit Zen-Buddhismus beschäftigt, und das hat mich wohl schon stark beeinflußt. Aber es geht bei Zen ja auch mehr um Psychologie denn um Religion, und außerdem verlangt man dort nicht von einem, seinen eigenen Glauben auf Kosten eines anderen beweisen zu müssen. Kein Kreuzzug, kein Dschihad, keine Selbstmordattentäter, keine Kreuzigungen! Phil, vielen herzlichen Dank für dieses Interview! Ich hoffe, daß wir bald mal wieder zusammen auftreten können, so wie wir es letztes Jahr im Kaffee Burger (beim Punk-and-Spunk-Abend) in Berlin oder im März bei der Leipziger Buchmesse gemacht haben. Wenn JUNKIE LOVE unter seinem deutschen Titel FIXERLIEBE endlich veröffentlicht wird, bin ich sicher, daß einer ruhmreichen Zukunft nichts mehr im Wege steht! |
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