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PHIL SHOENFELT
Interview with Georg Pacurar for PRAGER ZEITUNG (CZ) 18.01.1996
Über Leben und kleinere Wunder - Der Wahlprager Phil Shöenfelt im Portrait

Er kommt aus der englischen Industriestadt Bradford, wo es noch nicht einmal die Schnulzenkapelle "Smokie" lange aushielt. Das umlautschwere Pseudonym verdankt der Pop-Musiker seinem früheren Deutschlehrer. Der hatte den Tick, die Namen aller Schüler zu germanisieren. Aus Phil Schofield wurde Phil Shöenfelt. Zunächst im Klassenzimmer, dann wieder auf den Bühnen von Clubs in London und New York, die er zeitweise mit seinen "Khmer Rouge" terrorisierte. Daneben arbeitete Shöenfelt unter anderem mit Simon Bonney ("Crime And The City Solution"), Mark E. Smith ("The Fall") sowie Nick Cave zusammen. In der Tschechischen Republik war sein dunkler Baßbariton erstmals im Sommer 1994 zu hören, als er mit "Tichá Dohoda" tourte. Seit August vergangenen Jahres lebt er in Prag, dessen "inspirierende" Atmosphäre er schätzt. Im Frühling 1996 wird Phil Shöenfelt als Literat debütieren. Seine autobiographische Novelle mit dem Arbeitstitel "Junkie Love" wird in tschechischer Übersetzung bei Mat'a erscheinen. Original folgt.

Seine Songs handeln von Außenseitern, Ausgestoßenen. Von Junkies und Psychopathen, Menschen, die gefallen sind und verfallen. Und von der Hoffnung auf die alles ändernde Kraft der Liebe, der befreienden oder zerstörenden: "Only you can free me from myself". Shöenfelt kennt den Stoff, aus dem die Alpträume sind. Der in Prag lebende britische Sänger, Sopngwriter und Schriftsteller schöpft aus dem überwundenen Sumpf von Drogen und obsessiven Beziehungen, ohne daß seine Arbeiten sich in peinlicher Nabelschau erschöpfen. Ähnlich wie bei seinen geistesverwandten Vorbildern - Leonard Cohen und Nick Cave wird bei Phil Shöenfelt Persönliches überindividuell, Kunst eben.

Die Musik knüpft an die Folk-Blues-Tradition aus dem Süden der Vereinigten Staaten, wobei Einflüsse des urbanen Punk-Rock der 70er und 80er Jahre durchscheinen. Den düsteren Akkordteppich der Stücke in Moll zerschlitzen verzerrte Gitarren und verstärken so die melancholische Atmosphäre. In den Texten dominiert biblische Metaphorik. Der eigene Körper, geschunden und vergiftet, gerät zum Kreuz, auf dem das Ich zu sterben droht; das geliebte Du wird zum Messias. Ungewöhnliche Pop-Klänge? "Die christliche Symbolwelt ist sehr gut dafür geeignet, die Beziehungen zwischen Junkies zu beschreiben", erklärt Phil. "Alles dreht sich um Abhängigkeit, Versuchung und Fall, Tod und Erlösung. Daß ich all das überstanden habe, kommt mir vor wie ein kleines Wunder." Wunder, Erlösung: Vielleicht stammt Phils Neigung für religiöse Metaphorik aus der Zeit in Nordirland. In den 50er Jahren war sein Vater, ein nordenglischer Ingenieur und Anhänger der Labour Party, aus Bradford in die Nähe von Belfast versetzt worden. Dort geriet Phil bereits als Sechsjähriger in die religiösen Dispute seiner Mitschüler, die entweder Protestanten waren oder Katholiken. Er war nichts davon: "Wir waren zwar auf dem Papier Anglikaner, aber Glaube und Religion spielten für meine Eltern als typische Vertreter der englischen Arbeiterklasse keine entscheidende Rolle."

Mit Spiritualität ganz anderer Art kam Shöenfelt bei seiner Auseinandersetzung mit der Literatur in Berührung. Über Huysmans, Rimbaud, Baudelaire, Aleister Cowleigh, De Sade und die amerikanische "Gothic Literature" lernte er die mystisch-okkultistische Tradition de europäischen Kultur kennen, die "weiße" und "schwarze" Kunst des Alchemismus. Dies reflektiert Shöenfelt im Nachwort zur tschechischen Ausgabe von "And The Ass Saw The Angel" (erschienen bei Argos, Prag 1995) dem international beachteten Drogenroman seines australischen Musikerkollegen Nick Cave, den er kennt und schätzt. Der Exkurs zu diesem vielschichtigen, hermetischen Werk sagt dabei ebenso viel über den Schreibenden aus wie über sein Thema: "Rimbaud sprach von der Wandlung des Dichters zum Seher durch die systematische Verwirrung der Sinne. Es ging darum, mit allen Mitteln extreme Bewußtseinszustände herbeizuführen: halluzinogene Drogen, 'unnatürliche Sexpraktiken', Selbstverstümmelung und -mißhandlung."

Wie Nick Cave hat Phil die Experimente an und mit sich überlebt und ist im Gegensatz zum Australier - "God and the Devil willing" - seit Jahren clean. Die Erfahrungen aus der Zeit "davor" verarbeitet er auch literarisch. Bereits seit Jahren schreibt er einem umfangreichen experimentellen Roman, der "recht kompliziert strukturiert ist, mit Versatzstücken und unterschiedlichen Erzählebenen". Weniger postmodern geht es in seinem literarischen Debüt zu, der Novelle "Junkie Love", die er auf Anregung des alternativen tschechische Verlags Mat'a schrieb. "Es ist merkwürdig", urteilt Phil. "Nach Prag kam ich unter anderem mit der Absicht, intensiv am 'großen' Roman zu arbeiten, den ich aus mehreren Gründen lange vernachlässigt hatte. Kaum bin ich hier, kommt der Auftrag zum Nachwort von And The Ass Saw The Angel, dann die Novelle. Und wieder bleibt der Roman liegen." An Prag, das er als "feminine Stadt" einordnet und im Gegensatz zu den aggressiv-maskulinen Metropolen New York und London als menschenfreundlich schätzt, liebt Phil die inspirierende Atmosphäre. Gleichzeitig übersieht er nicht konkrete Mißstände wie Behördenwillkür und "steinzeitkapitalistische" Business-Methoden. beides wird er nicht mehr allzu lange genießen können. Seine Freundin, die Prager Modedesignerin Jolana Izbická, zieht es ins sonnige Kalifornien, nach Los Angeles. Dann wird Phil wieder seinen alten Beruf ergreifen und an Sekundärschulen englische und amerikanische Literatur unterrichten. Das rauhe Klima amerikanischer Schulen schreckt ihn nicht, da er vor seiner Prager Zeit zwei Jahre im Londoner Vorort Hackney als Lehrer gearbeitet hatte. "Die Schüler waren zwischen 11 und 16, etwa die Hälfte von Ihnen stammte aus afrikanischen oder westindischen Familien", erinnert sich Shöenfelt. "Manche von ihnen, und zwar Schwarze und Weiße, konnten mit 15 kaum lesen und schreiben. Und ich sollte mit ihnen Shakespeares Sturm behandeln." Während ältere Kollegen vor der Aggressivität und dem Desinteresse der Jugendlichen apathisch resignierten, versuchte Phil, sie anders zu ködern. Und es gelang ihm: "Ein Freund in London, der Acid und HipHop machte, half mir, den Sturm als Rap-Theater mit Musik zu unterlegen. Die Klasse teilte sich in mehreren Parteien auf und verfaßte Rap-Texte. Manchmal griff ich ihnen beim Texten unter die Arme, aber das meiste stammte von den Kids. Als das Stück nach einem halben Jahr Proben aufgeführt wurde, konnte das niemand begreifen." Anders ausgedrückt, ein kleines Wunder war geschehen.





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